"Was war denn das?"
"Polyphonic Size."
"Und wie heißt die Band?"
"Die Band heißt so, das Stück heißt 'Mode'."
"Wie? Nochmal..."
"P-O-L-Y-P-H-O-N-I-C-S-I-Z-E, M-O-D-E."
"Hmhm, kannst Du mir das mal aufschreiben, gibt's das auch auf Cedeeeeeh...?"
Man ist meistens - gut, manchmal - ein freundlicher Mensch. Hat Geduld mit
Personen jüngeren Alters und gibt sich Mühe, niemanden wirklich
vor den Kopf zu stoßen. Kommt man so dann und wann zu der (zweifelhaften)
Ehre, als "Plattenaufleger" (was man eher als "CD-Aufleger" bezeichnen sollte)
in einer - mehr oder weniger - "schwarzen Disco" zu fungieren, so trottet
man nicht auf den allgemein üblichen ausgelatschten Pfaden ewig gleicher
Musikauswahl anderer (von der Muse erleuchteter) Szene-DJ-Götter herum,
sondern fügt - in aller Bescheidenheit selbstverständlich - die
eine oder andere Überraschung in die Rotation ein. Mit erstaunlicher
positiver Resonanz und Akzeptanz jedoch im Falle des lange Zeit vergessen-übersehenen
"Genres" "Minimalelectro". Seit einiger Zeit habe ich wieder einmal mein
als historisch zu bezeichnendes Interesse an sogenannter "Minimalelektronik"
neu entdeckt. Aber offensichtlich bin nicht nur ich ein "Opfer" dieser kleinen
"Nostalgiewelle", die vom Verständnis für diesen Musikstil her,
eigentlich gar nicht als pure Nostalgie zu sehen ist (doch dazu später).
Es gibt wieder ein Publikum für die kleinen, simplen, aber in ihrer
Wirkung effektiven, unterkühlt-analogen Songs, die immer am großartig-breitwandigen
Synthiepop gekonnt vorbeischrammten und in ihrer rührenden technologischen
Einfachheit immer ein wenig niedlich wirken, trotz ihrer graugetönten
Monotonie und der in manchen Fällen hoffnungslos erscheinenden kalt-düsteren
Ausstrahlung. Wobei diese Niedlichkeit mitunter so garstig daherkommen kann
wie diese eine übersehene Stecknadel im neu gekauften Hemd, die einem
unerwartet den Rücken zerkratzt...
Es steckt in der Tat immer ein kleines Stückchen Ironie und Gesellschaftskritik
selbst in jenen Minimalelectro-Stücken, die auf den ersten Blick als
albern und ungeheuer trivial erscheinen. Genau hinhören sollte man schon,
anstatt gleich in duselig-glückseliges Da-Da-Da-pseudo-NDW-Geschunkel
zu verfallen, kommt einem ein Kleinod elektronisch-minimalistischer Kunst
in deutscher Sprache entgegen. Ja, wer tatsächlich blauäugig glaubt,
das da "die Gesunden kommen" ("Die Gesunden kommen" - DIE GESUNDEN) oder
daß das "völkisch"-romantische Liedchen von der Liebe zu einem
"deutschen Mädchen" ("Deutsches Mädchen"
- THE ACTOR) auch wirklich ein solches ist, sollte besser
bei NENA, FRL. MENKE und
Konsorten bleiben und bestenfalls noch die späteren HUMAN LEAGUE,
ABC oder THOMPSON TWINS
als englische (synthiepoppige) Pendants konsumieren...
Auf alle Fälle wird man bei Stücken wie "Herzlos" (STRATIS),
"Erde 80" (CHRISTOF GLOWALLA),
"Sex ist out, ich bin geklont" (SCHALTKREIS WASSERMANN) oder "Es ist kalt"
(DER KÜNFTIGE MUSIKANT) sofort und ohne Umschweife
darauf aufmerksam gemacht, was in der Gesellschaft nicht stimmt oder vor
welchen Begebenheiten man Angst verspürt. Natürlich wird jetzt
der eine oder andere einwerfen, daß es sich bei diesen Liedern, dem
Musikstil und erst recht bei den Texten um Schnee von gestern handelt, Begebenheiten
der frühen Achtziger, damaliges Lebensgefühl, und so weiter und
so fort und natürlich gleich "Anachronismus" brüllen. Ich könnte
hier natürlich jedem Recht geben, der in dieser Weise argumentiert,
mache es mir aber nicht so einfach und behaupte: Die aufgezeigten Themen
sind nach wie vor aktuell und mit dem damaligen verfügbaren (seinerzeit
modernen) Equipment aufgenommen worden. Somit wirkt die Musik des Minimalelectro
auf mich keineswegs nur streng nostalgisch, sondern (bis auf wenige Ausnahmen,
die tatsächlich zeitbezogen operierten, z.B. "Kebabträume" von
DAF) nicht
nur eigentümlich aktuell, als auch irgendwie "Retrofuturistisch".
Und futuristisch sollten die ersten Gehversuche dieser Künstler ja auch
schließlich klingen, auch wenn in den meisten Fällen eine ungewisse
"futuristische" Zukunft ein Hauptangriffsziel darstellte (hier sollte man
die spanischen AVIADOR DRO als
Beispiel par excellence anführen, in deren Anfängen spätere
ESPLENDOR GEOMETRICO-Musiker
integriert waren, dies - nicht nur - am Rande), sowohl textlich als auch in den
extrem unterkühlten Sounds (siehe u.a. "What's There Left" - NINE CIRCLES),
die nicht selten dahergepiepst kamen, als hätten sich die Gerätschaften
eines Tages selbständig gemacht (z.B. "Mode"
- POLYPHONIC SIZE).
Um die Themen "Nostalgie" und "Aktualität" im Zusammenhang mit Minimalelectro
zunächst einmal zu Ende zu führen, sollten folgende Punkte überdacht
werden. Zunächst (wie schon angeführt) wurde die Musik mit den
modernen Instrumenten aufgenommen, die den Künstlern damals zur Verfügung
standen (und für sie erschwinglich waren, wohlgemerkt...). Die fortschreitende
riesige technologische Entwicklung innerhalb der elektronischen Musik ist
ungleich sehr viel höher, als die der - nennen wir sie mal - "handgemachten
Musik" (Gitarren, etc.), aus diesem Grund hören sich, an heutigen Standards
gemessen, tatsächlich einige elektronische Sounds "antiquiert" an. Außerdem
war dieser Minimalismus, von einem Teil dieser Musiker jedenfalls, geplant,
d.h. man wollte mit hörbar "minimalsten" Mitteln, "maximale" Ergebnisse
erzielen. Weg vom überdimensional-überproduzierten
Rock/Pop, hin zur bloßgelegten Struktur, dem nackten Soundgerüst.
Bestrebungen übrigens, die es in den neunziger Jahren innerhalb der
elektronischen Musik ebenfalls gegeben hat (und immer noch aktuell sind).
Nun, zugegeben, bei einigen Minimalelektronik-Formationen war es auch wirklich
lediglich "nur" ein wenig Herumexperimentiererei und/oder der "Anfangs"- oder
"Zwischenstatus" auf der Schwelle zum "ernstzunehmenden" Musiker, so wurde aus den
legendär kultigen VICE
VERSA ("NewGirls/Neutrons") die schmierige "New Romantic"-Schmachtkapelle
ABC (tatsächlich...). Oder der
minimalistisch-grandiose Charme der frühen OMD
geriet zum unspektakulären Breitenpop. Als der Hitparadenerfolg für
SOFT CELL kam, hatten
Marc Almond und Dave Ball sich ebenfalls
schon ziemlich vom Sound ihrer "Mutant Moments"-EP und ihrer "Science Fiction
Stories"-Demo-LP entfernt... Gottlob zeigten sich diese beiden Musiker allerdings
als über alle Maßen kreativ und wandelbar, so daß grobe
Enttäuschungen von deren Seite ausblieben...
Aber auch weniger (?) markante und weniger berühmte Künstler und
Formationen "eisten" sich vom starren Gerüst einfach strukturierter
und eindimensional wirkender Electroklänge los, um facettenreicher -
oder "richtige Musiker" - zu werden (und damit ihren gewonnenen Kultstatus
einzubüßen), SNOWY
RED und POLYPHONIC SIZE
seien hier als tragische Beispiele genannt, nachdem sich beide Bands einem verspielten
Wavepop zuwandten, sank die Akzeptanz deren derart gewandelten Veröffentlichungen
hin zum Nullpunkt, SNOWY
RED's "Sinking Down" (aus besseren Tagen) darf hier zynisch als "schlechtes Omen"
gewertet werden...
"Es wird immer weiter gehen - Musik als Träger von Ideen", getreu diesem
"anything goes"-Motto von KRAFTWERK - die wohl
auch für manche Bandgründung Pate standen - schafften sich Ende der
Siebziger/Anfang der Achtziger, eine immer größer werdende Menge von Musikern
(oder solchen, die es gerne geworden wären...) alle Arten von elektronischen
Klangerzeugern an, zum Teil einfachste billige Geräte, um damit ihre ersten (oder
neuen) musikalischen Einfälle zu begründen. Zum Teil wandten sich diese
Künstler, Autodidakten oder einige "geniale Dilettanten" enttäuscht
von der Idee des zu jener Zeit schon abgefackelten Punk ab (wie so viele
andere auch..., ein gewisser Herr Tommi Stumpff z.B., der
den KFC dichtmachte und mit der
LP "Zu spät ihr Scheißer" eine Art minimalen und schrillen
Elektropunk initiierte, unvergessen seine bitterböse, aber wahre - und
gerechte - Antihymne "Contergan Punk"...). Andere hatten mit Punk erst gar
nichts am Hut oder fanden Gitarren als dominantes Leadinstrument einfach
nur altmodisch, unmodern oder überholt...
Man holte als Inspirationsquelle auch verstärkt die avantgardistischen
Klangtüftler der späten Sechziger oder der frühen Siebziger
aus der "Strafecke" wieder hervor. "New Wave" als Oberbegriff war ein (noch)
offenes und (noch) willkommenes Sammelbecken für soundtechnisch neue
Ideen, Expansionen und Extensionen. Besonders die damals noch (auch in "eigenen
Reihen") verschmähten und verspotteten "Synthiepopper" konnten unter
diesem rettenden Schutzdach relativ sicher wachsen und gedeihen. Unterstützend
und segnend in diesen Bestrebungen waren auch die vielerorts aus dem Boden
sprießenden Kleinst- und Independentlabels.
Und passende Themen zum analogen minimal-elektronischen Sound gab's ohnehin zuhauf...
Ende Teil 1 - und im nächsten Black geht's u.a. auf "Schatzsuche", verschüttete Platten, Singles und sogar auch Cedeeeeehs...
- Thomas
Seibert -
Vielen Dank an den Autor dieses Artikels sowie an
die Zeitschrift "Black" für
die freundliche Genehmigung zum Nachdruck.