Auf Schatzsuche - oder: "Gibt's das auch auf Cedeeeeeh...?"

Beobachtungen zu "Minimalelectro" - Teil 1

[Quelle: "Black" #26, Seite 53]

"Was war denn das?"
"Polyphonic Size."
"Und wie heißt die Band?"
"Die Band heißt so, das Stück heißt 'Mode'."
"Wie? Nochmal..."
"P-O-L-Y-P-H-O-N-I-C-S-I-Z-E, M-O-D-E."
"Hmhm, kannst Du mir das mal aufschreiben, gibt's das auch auf Cedeeeeeh...?"

Man ist meistens - gut, manchmal - ein freundlicher Mensch. Hat Geduld mit Personen jüngeren Alters und gibt sich Mühe, niemanden wirklich vor den Kopf zu stoßen. Kommt man so dann und wann zu der (zweifelhaften) Ehre, als "Plattenaufleger" (was man eher als "CD-Aufleger" bezeichnen sollte) in einer - mehr oder weniger - "schwarzen Disco" zu fungieren, so trottet man nicht auf den allgemein üblichen ausgelatschten Pfaden ewig gleicher Musikauswahl anderer (von der Muse erleuchteter) Szene-DJ-Götter herum, sondern fügt - in aller Bescheidenheit selbstverständlich - die eine oder andere Überraschung in die Rotation ein. Mit erstaunlicher positiver Resonanz und Akzeptanz jedoch im Falle des lange Zeit vergessen-übersehenen "Genres" "Minimalelectro". Seit einiger Zeit habe ich wieder einmal mein als historisch zu bezeichnendes Interesse an sogenannter "Minimalelektronik" neu entdeckt. Aber offensichtlich bin nicht nur ich ein "Opfer" dieser kleinen "Nostalgiewelle", die vom Verständnis für diesen Musikstil her, eigentlich gar nicht als pure Nostalgie zu sehen ist (doch dazu später).
Es gibt wieder ein Publikum für die kleinen, simplen, aber in ihrer Wirkung effektiven, unterkühlt-analogen Songs, die immer am großartig-breitwandigen Synthiepop gekonnt vorbeischrammten und in ihrer rührenden technologischen Einfachheit immer ein wenig niedlich wirken, trotz ihrer graugetönten Monotonie und der in manchen Fällen hoffnungslos erscheinenden kalt-düsteren Ausstrahlung. Wobei diese Niedlichkeit mitunter so garstig daherkommen kann wie diese eine übersehene Stecknadel im neu gekauften Hemd, die einem unerwartet den Rücken zerkratzt...
Es steckt in der Tat immer ein kleines Stückchen Ironie und Gesellschaftskritik selbst in jenen Minimalelectro-Stücken, die auf den ersten Blick als albern und ungeheuer trivial erscheinen. Genau hinhören sollte man schon, anstatt gleich in duselig-glückseliges Da-Da-Da-pseudo-NDW-Geschunkel zu verfallen, kommt einem ein Kleinod elektronisch-minimalistischer Kunst in deutscher Sprache entgegen. Ja, wer tatsächlich blauäugig glaubt, das da "die Gesunden kommen" ("Die Gesunden kommen" - DIE GESUNDEN) oder daß das "völkisch"-romantische Liedchen von der Liebe zu einem "deutschen Mädchen" ("Deutsches Mädchen" - THE ACTOR) auch wirklich ein solches ist, sollte besser bei NENA, FRL. MENKE und Konsorten bleiben und bestenfalls noch die späteren HUMAN LEAGUE, ABC oder THOMPSON TWINS als englische (synthiepoppige) Pendants konsumieren...
Auf alle Fälle wird man bei Stücken wie "Herzlos" (STRATIS), "Erde 80" (CHRISTOF GLOWALLA), "Sex ist out, ich bin geklont" (SCHALTKREIS WASSERMANN) oder "Es ist kalt" (DER KÜNFTIGE MUSIKANT) sofort und ohne Umschweife darauf aufmerksam gemacht, was in der Gesellschaft nicht stimmt oder vor welchen Begebenheiten man Angst verspürt. Natürlich wird jetzt der eine oder andere einwerfen, daß es sich bei diesen Liedern, dem Musikstil und erst recht bei den Texten um Schnee von gestern handelt, Begebenheiten der frühen Achtziger, damaliges Lebensgefühl, und so weiter und so fort und natürlich gleich "Anachronismus" brüllen. Ich könnte hier natürlich jedem Recht geben, der in dieser Weise argumentiert, mache es mir aber nicht so einfach und behaupte: Die aufgezeigten Themen sind nach wie vor aktuell und mit dem damaligen verfügbaren (seinerzeit modernen) Equipment aufgenommen worden. Somit wirkt die Musik des Minimalelectro auf mich keineswegs nur streng nostalgisch, sondern (bis auf wenige Ausnahmen, die tatsächlich zeitbezogen operierten, z.B. "Kebabträume" von DAF) nicht nur eigentümlich aktuell, als auch irgendwie "Retrofuturistisch".
Und futuristisch sollten die ersten Gehversuche dieser Künstler ja auch schließlich klingen, auch wenn in den meisten Fällen eine ungewisse "futuristische" Zukunft ein Hauptangriffsziel darstellte (hier sollte man die spanischen AVIADOR DRO als Beispiel par excellence anführen, in deren Anfängen spätere ESPLENDOR GEOMETRICO-Musiker integriert waren, dies - nicht nur - am Rande), sowohl textlich als auch in den extrem unterkühlten Sounds (siehe u.a. "What's There Left" - NINE CIRCLES), die nicht selten dahergepiepst kamen, als hätten sich die Gerätschaften eines Tages selbständig gemacht (z.B. "Mode" - POLYPHONIC SIZE).
Um die Themen "Nostalgie" und "Aktualität" im Zusammenhang mit Minimalelectro zunächst einmal zu Ende zu führen, sollten folgende Punkte überdacht werden. Zunächst (wie schon angeführt) wurde die Musik mit den modernen Instrumenten aufgenommen, die den Künstlern damals zur Verfügung standen (und für sie erschwinglich waren, wohlgemerkt...). Die fortschreitende riesige technologische Entwicklung innerhalb der elektronischen Musik ist ungleich sehr viel höher, als die der - nennen wir sie mal - "handgemachten Musik" (Gitarren, etc.), aus diesem Grund hören sich, an heutigen Standards gemessen, tatsächlich einige elektronische Sounds "antiquiert" an. Außerdem war dieser Minimalismus, von einem Teil dieser Musiker jedenfalls, geplant, d.h. man wollte mit hörbar "minimalsten" Mitteln, "maximale" Ergebnisse erzielen. Weg vom überdimensional-überproduzierten Rock/Pop, hin zur bloßgelegten Struktur, dem nackten Soundgerüst. Bestrebungen übrigens, die es in den neunziger Jahren innerhalb der elektronischen Musik ebenfalls gegeben hat (und immer noch aktuell sind). Nun, zugegeben, bei einigen Minimalelektronik-Formationen war es auch wirklich lediglich "nur" ein wenig Herumexperimentiererei und/oder der "Anfangs"- oder "Zwischenstatus" auf der Schwelle zum "ernstzunehmenden" Musiker, so wurde aus den legendär kultigen VICE VERSA ("NewGirls/Neutrons") die schmierige "New Romantic"-Schmachtkapelle ABC (tatsächlich...). Oder der minimalistisch-grandiose Charme der frühen OMD geriet zum unspektakulären Breitenpop. Als der Hitparadenerfolg für SOFT CELL kam, hatten Marc Almond und Dave Ball sich ebenfalls schon ziemlich vom Sound ihrer "Mutant Moments"-EP und ihrer "Science Fiction Stories"-Demo-LP entfernt... Gottlob zeigten sich diese beiden Musiker allerdings als über alle Maßen kreativ und wandelbar, so daß grobe Enttäuschungen von deren Seite ausblieben...
Aber auch weniger (?) markante und weniger berühmte Künstler und Formationen "eisten" sich vom starren Gerüst einfach strukturierter und eindimensional wirkender Electroklänge los, um facettenreicher - oder "richtige Musiker" - zu werden (und damit ihren gewonnenen Kultstatus einzubüßen), SNOWY RED und POLYPHONIC SIZE seien hier als tragische Beispiele genannt, nachdem sich beide Bands einem verspielten Wavepop zuwandten, sank die Akzeptanz deren derart gewandelten Veröffentlichungen hin zum Nullpunkt, SNOWY RED's "Sinking Down" (aus besseren Tagen) darf hier zynisch als "schlechtes Omen" gewertet werden...
"Es wird immer weiter gehen - Musik als Träger von Ideen", getreu diesem "anything goes"-Motto von KRAFTWERK - die wohl auch für manche Bandgründung Pate standen - schafften sich Ende der Siebziger/Anfang der Achtziger, eine immer größer werdende Menge von Musikern (oder solchen, die es gerne geworden wären...) alle Arten von elektronischen Klangerzeugern an, zum Teil einfachste billige Geräte, um damit ihre ersten (oder neuen) musikalischen Einfälle zu begründen. Zum Teil wandten sich diese Künstler, Autodidakten oder einige "geniale Dilettanten" enttäuscht von der Idee des zu jener Zeit schon abgefackelten Punk ab (wie so viele andere auch...,  ein gewisser Herr Tommi Stumpff z.B., der den KFC dichtmachte und mit der LP "Zu spät ihr Scheißer" eine Art minimalen und schrillen Elektropunk initiierte, unvergessen seine bitterböse, aber wahre - und gerechte - Antihymne "Contergan Punk"...). Andere hatten mit Punk erst gar nichts am Hut oder fanden Gitarren als dominantes Leadinstrument einfach nur altmodisch, unmodern oder überholt...
Man holte als Inspirationsquelle auch verstärkt die avantgardistischen Klangtüftler der späten Sechziger oder der frühen Siebziger aus der "Strafecke" wieder hervor. "New Wave" als Oberbegriff war ein (noch) offenes und (noch) willkommenes Sammelbecken für soundtechnisch neue Ideen, Expansionen und Extensionen. Besonders die damals noch (auch in "eigenen Reihen") verschmähten und verspotteten "Synthiepopper" konnten unter diesem rettenden Schutzdach relativ sicher wachsen und gedeihen. Unterstützend und segnend in diesen Bestrebungen waren auch die vielerorts aus dem Boden sprießenden Kleinst- und Independentlabels.

Und passende Themen zum analogen minimal-elektronischen Sound gab's ohnehin zuhauf...

Ende Teil 1 - und im nächsten Black geht's u.a. auf "Schatzsuche", verschüttete Platten, Singles und sogar auch Cedeeeeehs...

- Thomas Seibert -
 

Hier geht's zu Teil 2.

Vielen Dank an den Autor dieses Artikels sowie an die Zeitschrift "Black" für die freundliche Genehmigung zum Nachdruck.
 

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