Auf Schatzsuche - oder: "Gibt's das auch auf Cedeeeeeh...?"

Beobachtungen zu "Minimalelectro" - Teil 2

[Quelle: "Black" #27, Seite 76]

...ja, und es werden immer mehr! Im Zuge des im Prinzip zu begrüßenden Wiederveröffentlichungs-Bestrebens einiger historisch interessierter und restaurationswilliger Labels wurden im Laufe der letzten Jahre schon einige Schätze wieder gehoben und manch verschüttete Perlen einem breiteren - und auch dankbar interessierten - Publikum wieder zugänglich gemacht. Jedoch erreichen einige Re-Issues anscheinend doch nicht alle Ecken und potentiell aufnahmewillige Freunde des analog-historischen Minimalelectrosounds, so dass auch zum Teil gut informierte Kenner der Materie immer wieder durch ab und zu auftauchende CD's in Verblüffung geraten und die eine oder andere überrascht hochgezogene Augenbraue konnte man schon beobachten, begleitet von den Worten: "Was, seit wann gibt's denn das auch auf Cedeeeeeh...?"

Denn auch heute noch erscheinen manche als CD neuaufgelegte "Kult-Platten" des Genres aus den "gesegneten" Achtzigern zum Teil auf obskuren Kleinstlabels, mit natürlich - und auch verständlicherweise - limitierten Stückzahlen. Einige CD's sind nur über verschlungene Wege als Direktimporte zu bekommen, auf andere Veröffentlichungen stößt man eher zufällig. Weitgehend sind die größeren Filialen gewisser wohlbekannter Ladenketten als enttäuschende Fehlanzeigen zu bewerten. So sollte man aufmerksam die Mailorderlisten durchforsten, oder den nicht sonderlich massenkonformen Plattenladen des Vertrauens damit beauftragen, das Objekt der Begierde aufzutreiben. Sich zu sputen und eine schnelle Entscheidungsfreude sind allerdings auch bei dem geplanten Erwerb dieser Re-Issues angeraten, denn diese werden ebenfalls nach deren Ausverkauf nur in den seltensten Fällen in einer zweiten Auflage auf den Markt gebracht. So soll es schon vorgekommen sein, dass die CD-Version auch über zehn Jahre nach dem Erscheinen des "schwarzen Goldes" bereits dem Höchstpreis des Vinyl-Originals schon sehr nahe kam - und sogar schon in Einzelfällen absurderweise übertraf...
Hält man die Augen jedoch wachsam offen, so konnten sich bereits Lücken schließen, die für das eigene Sammlerbefinden einem manchmal so breit vorkommen wie ein Ozean... Aber bevor der fanatische Plattensammler in mir ganz durchgeht (warum soll es dem "in die Jahre gekommenen" Wave/Underground-Hörer anders ergehen als diesen ältlichen Freaks, die auf Plattenbörsen herumstreunen und ROLLING STONES-Originalpressungen nachjagen...???) möchte ich doch zu der - so denke ich zumindest - von mir erwarteten "Schatzsuche" übergehen, und einige empfehlenswerte CD's, sowie natürlich zwölf- und siebenzöllige Platten vorstellen. Diese Auswahl wird - wie in solchen Rubriken ohnedies nicht anders zu erwarten - natürlich einen subjektiven Charakter aufweisen, zum einen, weil das Genre natürlich unüberschaubar geworden ist, und dies nicht nur durch die verstrichene Anzahl der Jahre, sondern ebenfalls auch dadurch, dass ich nicht jede Band kennen kann, die damals eine obskure und absolut nur in kleinen Geheimtip-Zirkeln kursierende Platte aufnahm. Dies ist nämlich eines der Markenzeichen des Minimalelectro-Genres, das Homerecording-Verfahren, denn selbstverständlich reichte schon ein absolut billiges elektronisches Equipment, um z.B. eine "One-Man-Show" ins Laufen zu bringen, um ein simpel aufgenommenes elektronisches Musikstück als 7" zu veröffentlichen. Ich erhebe gleichzeitig auch nicht den Anspruch, einer der überragenden "Cracks" in diesem Metier zu sein. Im Zuge meines Interesses für das Genre liefen mir schon Zeitgenossen über den Weg, vor denen ich meinen Hut ziehen möchte. Die allerdings auch dazu bereit waren, mir hilfreiche Tipps zu geben, für die ich diesen Leuten ewig dankbar sein werde...
Einen sehr frühen "Prototyp" und ewigen Klassiker veröffentlichten bereits 1977 die Amerikaner Alan Vega und Martin Rev, besser als SUICIDE bekannt. Deren kompromisslos minimalistisch karges Debut-Album - mittlererweile auch als CD auf BLAST FIRST/MUTE-Records erschienen - auf dem nur "Instrument" und Stimme zum Einsatz kamen, wartete mit einem rohen, rein elektronischen Punk'n'Roll-Sound auf, der bestechend hypnotisierend sich in die Hirnwindungen bohrte und musikalisches Neuland begründete. Songs wie "Ghost Rider", "Rocket U.S.A." und "Frankie Teardrop" sind längst zu Evergreens der elektronischen Musik geworden. Von SUICIDE fühlten sich nicht wenige späteren Electronic- und Synthiebands beeinflusst, so z.B. die sehr viel erfolgreicheren SOFT CELL, die im Grunde dieses "Zwei-Mann-Image" kopierten. Diesen SUICIDE-Sound setzte auch sehr eindrucksvoll - etwas opulenter zwar, aber mit dem Gefühl für elektronisiertes Punk-Crazee - die englische Formation THE FLOWERPOT MEN auf der Maxi "Jo's So Mean To Josephine" in Szene, die übrigens von SIOUXSIE & THE BANSHEES-Bassist Steven Severin produziert wurde. Die gesuchten und extrem raren frühen Vinylplatten der spanischen Formation AVIADOR DRO - die übrigens bereits in Teil 1 lobende Erwähnung fanden - wurden mittlererweile zur großen Freude von "Jägern & Sammlern" weitgehend komplett auf CD (Label: DISCOS LOLLIPOP) wiederveröffentlicht. Empfehlenswert sind vor allem die drei CD-Compilations "Vano Temporal", "Primer Aliento" und "Materia Oscura", die explizit die minimalelektronischen Frühwerke enthalten, unter anderem die "Hits" "La Chica De Plexiglas", "Nuclear, Si" und "Ella Perdio El Control", welches sich als eine erstaunliche Coverversion des JOY DIVISION-Klassikers "She's Lost Control" in spanischer Sprache entpuppt... Als besonders rührig im Re-Issue-Geschehen zeigte sich auch der DIVE-, bzw. THE KLINIK-"Vorturner" Dirk Ivens mit seinem DAFT RECORDS-Label. Bescherte er uns nicht nur seine eigenen ersten musikalischen Schritte als ABSOLUTE BODY CONTROL auf CD, "Eat This" betitelt, sondern auch die gesammelten Werke des Amerikaners R.L. Crutchfield, der mit seiner Formation DARK DAY zwischen 1979 und 1982 innovativen Elektropop zwischen Eingängigkeit und Experiment produzierte, auf der CD "Collected 1979 - 1982". Ein absolut überfälliges und langersehntes Highlight erschien erst letztes Jahr auf DAFT/TRISOL, das Album "Flesh" des ebenfalls aus Übersee stammenden Minimal-/Synthie-Pop-Duos JEFF AND JANE HUDSON ("Los Alamos"). Als Bonbon wurden noch einige Stücke ihrer exzellenten "World Trade"-EP mit auf die CD gepackt. Die Vinylveröffentlichungen von DARK DAY und J.+J. HUDSON erschienen übrigens im Original überwiegend auf LUST/UNLUST MUSIC. Am Genre Interessierte sollten sich das 1982er "Cold War Night Life"-Album der kanadischen Band RATIONAL YOUTH nicht entgehen lassen, 1997 auf dem schwedischen Label OCTOBER veröffentlicht. Deren "Dancing On The Berlin Wall"-Maxi von 1984 dürfte dem einen oder anderen Leser durchaus noch ein Begriff sein. Die nordenglischen THE WAKE passten mit ihrer kühlen Melancholie perfekt ins FACTORY RECORDS-Konzept der frühen Achtziger. Die Mini-LP "Harmony", die auch den Favoriten "Patrol" enthält, wurde erst kürzlich, mit Stücken zweier Singles und "John Peel-Session"-Material zusätzlich versehen, auf dem englischen Label LTM herausgebracht. Legendär wurden auch die zwei Tracks "Carcinome" und "So-dom", die FORCE DIMENSION aus Holland zur Split-7" EP "FabForce", in Zusammenarbeit mit DE FABRIEK entstanden, beisteuerten. Diese EP stellt eines der außergewöhnlichsten Artefakte der Tonträger-Verpackungskunst dar. Um an die Single zu gelangen, muss man sich erst einmal durch Plastikfolie, wild bemaltes Packpapier, Kassettenband und Pappe wühlen. Weiterhin ist diesem Machwerk noch ein Stück zerbrochenes Vinyl, Informationsflyer und ein Räucherstäbchen (!) beigelegt - so zumindest in dem in meinem Besitz befindlichen Exemplar zu entdecken... Diese Stücke sind selbstverständlich auf der FORCE DIMENSION-CD-Compilation "Kitty Hawk" zu finden. Avantgardistische Vorreiter einer elektronischen Minimalkunst waren die später zu NDW-Ruhm gelangten DER PLAN aus Düsseldorf. Die beiden ersten Platten des Trios (bei dem auch der namhafte "Elektrolurch" und Tüftler PYROLATOR mitwirkte), "Geri Reig" und "Normalette Surprise" sind als Meisterwerke einer Kunst einzustufen, die sich zwischen Popmusik, Experiment, Minimalismus pur und Dadaismus bewegte. Der deutsche "Punkpapst" und Schöpfer des Begriffes "Neue Deutsche Welle" Alfred Hilsberg, fühlte sich zu folgendem Statement berufen: "Auf diese Platte habe nicht nur ich seit langer Zeit gewartet", womit er das DER PLAN-Debüt "Geri Reig" meinte. Das Komplettwerk der Band wurde gesegneterweise von dem Bandeigenen Hauslabel ATA TAK auf diversen CD's konserviert. DER PLAN sind weiterhin verantwortlich für den "Fix Planet"-Sampler zu machen, der von ihnen zusammengestellt wurde und u.a. auch den zu spätem "Dancefloor-Ruhm" gekommenen ESPLENDOR GEOMETRICO-Track "Moscu Esta Helado" enthält. Weiterhin ist auf dieser Compilation auch ein Stück von DIE FORM enthalten, die in den frühen Achtzigern besonders durch Singles wie z.B. "Masochist" minimalelektronische Songstrukturen bevorzugten. Im besonderen darf man besonders Künstler aus deutschen Landen als besonders innovativ und produktiv ansehen. Unzählige Projekte, Bands und Solomusiker widmeten sich der analogen Elektronik und kreierten einen so gut wie unüberschaubaren zahl- und einfallsreichen Output von besonderer Qualität. Stellvertretend seien hier folgende genannt: CHRISTOF GLOWALLA ("Erde 80"-Single), der erst im vergangenen Jahr eine Split-7" mit den heutigen Minimal-Heroen BAKTERIELLE INFEKTION aufnahm; natürlich ist MATTHIAS SCHUSTER zu erwähnen, Mitglied der GEISTERFAHRER, der einige Solowerke unter seinem eigenen Namen, sowie 1980 die legendäre "Ich war da, leergebrannt"-Single unter dem Projektnamen IM NAMEN DES VOLKES veröffentlichte. Nicht in Vergessenheit geraten sollten auch P1/E (der "Überhit" "49 Second Romance" ist auf verschiedenen CD/LP-Compilations verewigt worden, darunter auch auf der "Licht & Schatten"-LP...), THOMAS VOBURKA, GEILE TIERE und DIE UNBEKANNTEN ("Casualties") aus Berlin; die Formation KEINE AHNUNG, deren gleichnamige LP utopische Höchstpreise erreicht, gottlob jedoch auf der CD-Zusammenstellung "Rekonstruktion" (COME BACK RECORDS) enthalten ist; und natürlich eine der Gallionsfiguren des deutschen Elektronikundergroundes TOMMI STUMPFF, zu empfehlen ist die CD "Mich kriegt Ihr nicht (Back Up 1982 - 1985)", die einige gesammelte genial-rohe Frühwerke seines Soloschaffens enthält. Bevor ich jedoch im nächsten BLACK den geballten Griff ins Eingemachte - sprich: das Plattenregal - wage, möchte ich Neueinsteigern in die Materie die "Banshee"-Samplerreihe ans Herz legen, auf drei CD's ("Call of the Banshee", "Return of the Banshee" und "Night of the Banshee") sind einige Perlen von u.a. SNOWY RED, POLYPHONIC SIZE, NEON, FORCE DIMENSION, WELTKLANG, STRATIS, GEILE TIERE, SEEN LINKS - SCHLÖSSER RECHTS, FOR AGAINST, UV POP, MARK LANE, IM NAMEN DES VOLKES, VENUS IN FURS und THE WAKE enthalten, die entdeckt werden sollten. Sehr zu gebrauchen ist ebenfalls CD1 der ersten "Zwischenfall"-Compilation, sind auf dieser doch Raritäten von A BLAZE COLOUR, SNOWY RED, CENTRAL UNIT, LAST MAN IN EUROPE, PORTION CONTROL, FORCE DIMENSION und weiteres mehr versammelt. Bis Teil Drei dieses Specials beweine ich solange die Tatsache, dass das überwiegende Werk von Bands wie POLYPHONIC SIZE, SNOWY RED, UV POP, VICE VERSA und VENUS IN FURS noch nicht seinen Weg auf handelsübliche CD's gefunden hat, und ich weiterhin mein Sparschwein heftigst melken muss...

Im nächsten Black: Teil 3 - "Der Griff in den 'Plattensafe'" und Ausblick: "Die Tradition wird fortgeführt - aktuelle 'Minimalelektroniker'"

- Thomas Seibert -
 

Hier geht's zu Teil 3.

Vielen Dank an den Autor dieses Artikels sowie an die Zeitschrift "Black" für die freundliche Genehmigung zum Nachdruck.
 

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